“Natürlich ist mein Pferd glücklich!”, ist meist die erste Reaktion, wenn das Wohlbefinden des eigenen Pferdes infrage gestellt wird. Bist du dir sicher – stimmt das denn wirklich? Ist mein Pferd glücklich oder nicht?
Klar ist mein Pferd glücklich – es hat sich zumindest noch nicht beschwert!
Die meisten Reiter behaupten, dass sie ganz genau wissen, wann es ihrem Partner Pferd gut oder schlecht geht. Wenn sie über Haltung, Umgang oder Reitstil kritisiert werden, reagieren sie oft pampig und fangen an zu schimpfen, dass man sich doch gar nicht damit auskenne. Die Wissenschaft zeigt aber, dass wir nicht genug geschult sind, um ihre Gefühle zu deuten. Schwache oder nicht vorhandene Verhaltensanzeichen über Unwohlsein, Ignoranz und die Normalität von Pferden in schlechter Haltung tragen dazu bei, dass die unglücklichen Pferde nicht gesehen werden.
Problem unsichtbarer Stress und erlernte Hilflosigkeit beim Pferd
Zugegeben, Pferde machen es uns oft nicht leicht, ihre Gefühle zu deuten. So bewies eine Studie, dass scheinbar entspannte Pferde bei einem (fingierten) Hufpflegetermin genau viel Stress hatten, wie jene, die ihre Nervosität offen zeigten. Bei allen Pferden waren die Cortisol-Werte (Stresshormon), die Herzfrequenz und die Augentemperatur erhöht, was alles auf erhöhten Stress hindeutet. Der unterdrückte Fluchttrieb macht also auch scheinbar entspannten Pferden zu schaffen.
Die extremere Form ist die erlernte Hilflosigkeit. Wird ein Tier länger Stress ausgesetzt, von dem es sich nicht entziehen kann, gibt es irgendwann auf und lässt alles über sich ergehen – auch wenn es schlussendlich wieder einen Ausweg gäbe. Das Pferd hat also aufgegeben und lässt allen Druck hilflos über sich ergehen. Bei einem braven Turnier- bzw. Schulpferd ist so eine bedingungslose Folgsamkeit ohne eigenen Willen nicht nur normal, sondern sehr erwünscht.
Problem Normalität von Pferden in schlechter Haltung
Ein weiterer Grund, der dich die Frage “Ist mein Pferd glücklich?” sofort mit JA beantworten lässt, ist der, dass uns der Jahrzehnte lange normale Anblick von Pferden in schlechter Haltung die Abnormalität als Normal vorkommen lässt. In einer großangelegten Studie mit 373 Pferden aus 26 Reitschulen beweist die Tragweite. Die Pferdebesitzer wurden befragt, ob und wenn ja wie oft ihre Pferde Stereotypien, wie beispielsweise Koppen, Weben und das exzessive Herumspielen mit der Zunge zeigten. Diese Stereotypien führen dazu, dass das Pferd Endorphine ausschüttet und so dieses Verhalten in einer unkontrollierbaren Umgebung ein Ventil zum Stressabbau sein kann. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass je mehr Verhaltsauffälligkeiten auftraten, desto weniger die Pferdebesitzer scheinbar darüber Notiz nahmen.
Problem Abwesenheit von Verhaltensauffälligkeiten heißt nicht, dass es dem Pferd gut geht!
Wie bereits eingangs erwähnt, muss es nicht heißen, dass es deinem Pferd gut geht, auch wenn es wirklich keine Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Die Meinungen gehen sogar so weit, dass Pferde in einer unnatürlichen Haltungsform, die keine Stereotypien zeigen, schlechter dran sind, als ihre verhaltensauffälligen Boxennachbarn. Auch heißt es nicht, dass dein williges Pferd freudig bei der Arbeit ist, wenn es sich dir beim Reiten nicht widersetzt.
Problem Ignoranz und nicht-Wahr-haben-wollen von unglücklichen Pferden
Wir Menschen tendieren dazu, unangenehme Dinge schön zu reden. Keiner will sich schließlich einen Fehler eingestehen oder würde sich selbst als schlechter Mensch bezeichnen. Deshalb vergleichen sich Reiter gerne mit anderen Reitern, die ihr Pferd (noch) schlechter behandeln. Oder versuchen das Schlagen oder andere Maßregelungen als Meinungsverschiedenheit mit Durchsetzen der Dominanz abzutun. In freie Wildbahn prügeln sich Pferde ja auch ab und zu und müssen sich unterordnen! Dazu kommt das nächste Problem, denn es wird vielerorts so gelernt. Wir versuchen uns also einzureden, dass es so gehört und wälzen die Verantwortung auf Pferdetrainer ab. Ungehorsamkeit wird als Erlaubnis angesehen, dass das Pferd gemaßregelt wird. Die körperlichen bzw. seelischen Leiden des Pferdes werden als Selbstschutz des Eingestehens etwas schlechtes getan zu haben, ignoriert, verzerrt oder schöngeredet.
Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung!
Nun hast du einige Gründe beisammen, wieso dein Pferd nicht so glücklich sein könnte, wie du eigentlich denkst. Aber wie kannst du nun dein Pferd glücklicher machen?
12 Wege zum sicheren JA bei der Frage “Ist mein Pferd glücklich?”
Unterstütze das Naturell deines Pferdes:
Herdenhaltung mit der Möglichkeit die Umgebung (Weide, Auslauf) zu entdecken und ausreichend Nahrung (Gras, Heu) vorzufinden.
Finde Trainingsmethoden, die deinem Pferd gefallen!
Ist dein Pferd mit deinen Trainingsmethoden einverstanden, wird es dir zeigen, dass es ihm gefällt. Das freudige Zukommen auf der Koppel gehört genauso dazu, wie der Begrüßungs-Wieherer und kooperatives, wissbegieriges Mitarbeiten bei Trainingseinheiten!
Erlaube deinem Pferd “Nein”, “Nicht jetzt” oder “Niemals” zu sagen!
Manche Pferde sind einfach zu gewissen Zeitpunkten noch nicht oder auch niemals körperlich oder seelisch dazu bereit gewisse Dinge zu erledigen. Ein “Nein” zu akzeptieren und dann ein “Ja, gerne!” herauszuarbeiten, macht schlussendlich Pferd und Mensch mehr Spaß, als durch Zwang!
Lerne Atemtechniken zum Entspannen!
Bist du entspannt, entspannt sich auch dein Pferd. Wenn du lernst ruhiger zu werden, kannst du so auch deinem Pferd helfen, in heiklen Situationen ruhig zu bleiben.
Kaufe Pferdezubehör, das passt!
Wer kennt es nicht, wenn die Schuhe kneifen und Blasen werfen? Genauso muss auch die Ausstattung deines Pferdes auf seine individuelle Statur angepasst sein, damit es entspannt läuft.
Achte auf deine Hilfen!
Du kommunizierst ständig mithilfe deiner Körpersprache oder Reithilfen mit deinem Pferd. Achte also, was du sprichst, um keine Unklarheiten entstehen zu lassen.
Nimm dir ausreichend Zeit zum Üben und warte bis dein Pferd körperlich in der Lage ist!
Bei der Pferdeausbildung haben viele einen Zeitplan im Kopf, wann was sitzen muss. Es ist egal, wie lange ihr braucht, wichtig ist, dass es dir und deinem Pferd Spaß macht!
Gute Laune beim Pferd!
Blende die schlechte Laune beim Pferd aus und versuche dich zu entspannen. Stress überträgt sich sofort auf dein Huftier und dies kann zu Wut und Widerwillen bei dir und deinem Pferd führen.
Übernimm Verantwortung für dein Pferd!
Versuche auf dein eigenes Bauchgefühl zu hören und andere Meinungen zwar zu hören, aber kritisch zu hinterfragen. Jeder Tipp kann helfen, kann aber auch gehörig nach hinten losgehen. Wichtig ist, dass du empathisch über dein Pferd denkst. Klar, es ist kein Mensch, aber auch Pferde haben Gefühle!
Filme dich beim Training!
Das eigene Gefühl über eine Situation ist oft anders, wie sie wirklich ist. Wird dein Pferd zum Beispiel unruhig im Umgang mit dir, kannst du so den Ablauf genau analysieren und Unstimmigkeiten oder Unsicherheiten bei dir selbst finden.
Lerne Massagegriffe und Körperarbeit
Massagen können zur Entspannung beitragen, wie du selbst vermutlich weißt. Kurze Massagen vor, während oder nach dem Training mit dem Pferd lassen es entspannen und fördert die Beziehung zu dir.
Investiere in Gesundheitsvorsorge und gute Pflege
Gesundheit, gute Pflege und ausreichend Futter ist das Mindeste, was wir unseren tierischen Familienmitgliedern geben können.
Was antwortest du jetzt auf die Frage: “Ist mein Pferd glücklich?”. Hast du Verbesserungen entdeckt oder Fehler in der Haltung bzw. dem Umgang mit deinem Pferd gefunden? Du bist kein schlechter Mensch, wenn du auf etwas drauf kommst, das nicht so optimal läuft. Wie bereits erwähnt, ist Einsicht der erste Schritt zur Besserung und man lernt nie aus. Fehler zu machen ist ganz normal, auch im Umgang mit Pferde. Was man aus der Erkenntnis macht, ist dann der Schlüssel zum Erfolg!
Möchtest du die Beziehung zu deinem Pferd verbessern, dann lerne wie du es richtig streichelst!
Wenn du befürchtest, dass dein Pferd unentdeckte Schmerzen hat, lese auch den Artikel: Schmerzen beim Pferd erkennen!