Der Spiegeltest gilt schon seit den 1960er Jahren als DAS Experiment, um zu beweisen, dass ein Individuum ein Bewusstsein über sich selbst hat. Wenn man weiß, dass man das da im Spiegel selbst ist, dann heißt das etwas. Lange dachte man, dass das auf Menschen und Menschenaffen beschränkt sei, mehr dazu aber später.
Wie funktioniert der Spiegeltest?
Das Prinzip ist sehr einfach: Es wird ganz heimlich im Gesicht eine Markierung mit Farbe angebracht. Das Gesicht kann man selbst aber natürlich nur sehen, wenn man in eine reflektierende Oberfläche, wie z.B. einen Spiegel, blickt. Betrachtet man dann sein Spiegelbild, bemerkt man erst, dass dort ja etwas ist. Nach dem Spiegelbetrachten wird also versucht die Markierung abzuwischen, weil man ja weiß, dass dieser Fleck an einem selbst dran ist. Aber auch das Verhalten direkt vorm Spiegel ist interessant: Bei Tieren wird dabei nach einem sogenannten Kontingenzverhalten Ausschau gehalten. Das ist also Verhalten, das insbesondere vor dem Spiegel gezeigt wird und unübliche Bewegungen umfasst oder mehrere wiederholende (nicht stereotype) Körperbewegungen.
Damit es keine Ausreden gibt, dass man die Markierung spüren könnte, wird zur Kontrolle in der Regel entweder eine zweite Gruppe mit einer durchsichtigen Markierung getestet oder in einem mehrstufigen Test beide Varianten durchgemacht. Das ist alles und doch so schwer.
Viele andere Tiere haben Spiegeltest bestanden
Seit den 2000er Jahren nahmen die Versuche zu, diese Selbstwahrnehmung auch bei anderen Tieren zu beweisen. Delfine, Elefanten, Raben und Elstern bestanden den Spiegeltest schon. Und ja, sogar Putzerfische haben es geschafft. Das lässt einen vielleicht ein bisschen zweifeln, aber vielleicht zeigt es auch, dass Tiere doch zu mehr imstande sind, als wir denken. Beschäftigt man sich übrigens näher mit Putzerfischen, dann kommt man zum Schluss, dass auch diese ein sehr herausforderndes soziales Leben führen.
Hunde haben den Spiegeltest noch nicht bestanden. Es wird vermutet, dass die Wahrnehmung über den Geruch und Gehörsinn wichtiger sind. Mehr dazu in diesem Blogartikel: Hat dein Hund ein Bewusstsein über seinen Körper?
Testaufbau und -durchführung beim Spiegeltest als Herausforderung
Ein Schwierigkeitsgrad beim Bestehen des Testes auch, dass wir Menschen es richtig testen. Es muss also eine ausreichend große Tiergruppe unter standardisierten Bedingungen vorhanden sein (- und nein, das ist nicht so leicht wie man sich denkt). Außerdem muss der Spiegeltest auch auf die arttypischen Eigenheiten eingehen. Also muss etwa der Spiegel von der Größe her passen, die Ausrichtung im Raum stimmen, damit sich das Tier auch sehen kann. Aber auch die Farbe der Markierung kann ein Fallstrick sein. Pferde sehen ja nicht so wie wir und daher wären auffällige Rottöne nicht so gut, wie gelb oder blau.
Wie lief der Test in der aktuellen Studie ab?
Vierzehn Pferde absolvierten in der Studie von Baragli und Kollegen (2021) einen vierstufigen Spiegeltest. Am Tag 1 wurden die Tiere einzeln in die Testarena gebracht, wo lediglich der noch verdeckte Spiegel aufgestellt war. Dabei wurde natürlich zur späteren Auswertung der ganze Ablauf gefilmt. Am Tag 2 wurde das Verhalten bei geöffnetem Spiegel aufgenommen. In der dritten Phase wurde eine unsichtbare, also durchsichtige Markierung an beiden Wangen angebracht. Hintergrund war, dass Pferde ja seitlich angeordnete Augen haben und daher eine Wange sehr leicht außerhalb des Sichtfeldes verschwinden kann. In der vierten Phase wurde die Markierung mit Farbe fürs Auge sichtbar gemacht.
Wie reagierten die Pferde im Test?
Zuerst einmal die nicht so erfreulichen Ergebnisse, die aber eben auch passieren, schließlich hat jedes Tier eine andere Persönlichkeit und Erfahrungen. Es reagierten 3 der 14 Pferde mit keinerlei Kontingenzverhalten, ein Pferd fürchtete sich vor dem Spiegelbild so stark, dass es im hintersten Eck der Absperrung verschwand. Zwei andere Pferde reagierten sehr aggressiv auf ihr Spiegelbild. Es wurde also schließlich einige Pferde aus dem Test genommen.
Damit du dir ein genaues Bild machen kannst, wie die Pferde im Detail reagierten, habe ich dir die wichtigen Verhaltensweisen herausgeschrieben:
3 von 11 Pferden schauten hinter den Spiegel, als er noch verschlossen war. In der „Spiegel offen Phase“ stieg dieses Verhalten hingegen auf 8 Pferde an.
6 von 8 Pferden schauten statistisch signifikant häufiger beim offenen Spiel dahinter, als beim geschlossenen.
Beim Setting mit dem offenen Spiegel zeigten 9 von 11 Pferden wiederholte Kopfbewegungen, wohingegen das beim geschlossenen Spiegel nur 3 zeigten.
Ein „Guck-Guck-Spiel“ (ähnlich dem Kinderspiel) spielten beim offenen Spiegel 9 von 11 Pferden, keines beim geschlossenen Spiegel.
Ihre Zunge streckten 2 im Offenen-Spiegel-Setting auffällig heraus, beim verschlossenen Spiegel machte es keines.
9 der 11 Pferde kratzten sich ihr Gesicht in der Phase mit der sichtbaren Markierung.
In der Phase mit der durchsichtigen Markierung waren es nur 5. Hochgerechnet kratzen sich aber 3 von 4 Pferden länger mit der sichtbaren Markierung als mit der unsichtbaren.
Zur Kontrolle wurde auch das Kratzen am Körper aufgezeichnet, das bei den beiden Phasen mit 9 von 11 Pferden in der markierten und 8 von 11 in der unsichtbar markierten Phase etwa gleich häufig war.
Das Ergebnis „Pferde haben den Spiegeltest auf Gruppenlevel bestanden!“
Wenn du genau gelesen hast, ist dir vielleicht der Zusatz „auf Gruppenlevel“ aufgefallen. Das heißt jetzt nicht, dass mehrere Pferde gemeinsam getestet wurden und sie es nur so schafften. Das gruppenbasierte Ergebnis entstand daher, dass die Zeiten aller Tiere zusammengezählt wurden und dann erst statistisch analysiert wurden. Die Tiere waren also jeweils alleine im Testbereich, nur die Zeiten wurden hochgerechnet. Das ist eine Auswertungsvariante, die etwas auswertungsfreundlicher ist, als jedes Tier einzeln abzurechnen. Um zum alleinstehenden Ergebnis wie bei Menschenaffe, Elefant und Co müssen also noch mehr Tiere getestet werden und diese ein entsprechendes Verhalten zeigen. Die Pferde haben den Test also bestanden, aber mit einer weniger strengen statistischen Auswertung – es ist halt in der Wissenschaft alles Testsache und kann so oder so ausgewertet werden.
Zusammenfassung und Fazit
Die Pferde zeigten also gezielt Verhaltensweisen, die die Zufälligkeit ihres Spiegelbildes überprüften. Das waren etwa Verhaltensweisen, wie hinter den Spiegel schauen, das „Guck-Guck-Spiel“, auffällige, wiederholende Kopf- und Zungenbewegungen. Die Pferde nutzten außerdem den Spiegel, um ihre Körperbewegungen zur färbig markierten Wange hinzuleiten. Das bedeutet also, dass sie sich selbst im Spiegel wahrnehmen können. Pferde, welche eine sichtbare Markierung oben hatten, versuchten außerdem länger durch Kratzen an der Körperstelle das Ding wegzubekommen, als jene mit unsichtbarer Markierung.
Abschließend muss natürlich auch noch gesagt werden, dass das Bestehen können wie bereits erwähnt auch eine Frage des Testaufbaus ist. Vielleicht ist das Spiegelbild für mache Tiere auch einfach nicht so viel wert oder es ist ihnen ganz egal ob sie da einen farbigen Punkt im Gesicht haben oder nicht, wenn er nicht stört. Wieso dann auch wegmachen? Da wir aber mit Tieren nicht sprechen können und wir Menschen leider davon ausgehen, dass sie weniger intelligent seien und wir sie daher nicht so gut behandeln müssen, sind diese Studien sehr wichtig für unser Bewusstsein und dem Vorantreiben des Tierschutzes.
Denke also bitte das nächste Mal, wenn dein Pferd in den Hallenspiegel blickt, dass es genau ein Bewusstsein hat und du es also mit Freundlichkeit behandeln solltest.
Originalstudie:
Baragli, P., Scopa, C., Maglieri, V. et al. If horses had toes: demonstrating mirror self recognition at group level in Equus caballus. Anim Cogn (2021). https://doi.org/10.1007/s10071-021-01502-7