Mein Hund, mein Kind? Was eine neue Studie über unsere Bindung verrät – und was sie verschweigt

by | Nov. 24, 2025 | Hunde | 0 comments

„Mein Hund ist mein Kind.“
Eine neue Studie zur Bindung zwischen Hund und Mensch zeigt: Viele Frauen meinen das genau so – ihr Hund nimmt im Alltag eine fast kindähnliche Rolle ein, im Notfall steht aber doch das menschliche Kind an erster Stelle.

Was nach Social-Media-Streit klingt, ist wissenschaftlich erstaunlich gut belegbar: Die Beziehung zu unseren Hunden ähnelt in vielem der Bindung zu Kindern – und bleibt trotzdem etwas Eigenes.
In diesem Artikel schaue ich mir die neue Studie genauer an, ordne sie in die Bindungsforschung ein und zeige, was das für unseren Blick auf Hunde als Familienmitglieder bedeutet.


1. Was die Studie wirklich untersucht hat

Die Studie trägt den Titel:

„My Little Son, My Everything: Comparative Caregiving and Emotional Bonds in Dog and Child Parenting“

Dafür wurden:

  • 28 Hundebesitzerinnen intensiv befragt,

  • ein Teil mit Kindern, ein Teil ohne Kinder,

  • alle lebten seit mindestens einem Jahr mit ihrem Hund zusammen.

Es ging nicht um Fragebögen zum Ankreuzen, sondern um lange Gespräche:
Wie erlebst du den Alltag mit deinem Hund?
Wie fühlt sich das im Vergleich zu einem Kind an?
Welche Verantwortung spürst du?
Wie hat dein Hund dein Leben verändert?

Ausgewertet haben die Forscherinnen die Interviews mit einer qualitativen Methode („thematische Analyse“). Wer Details mag, findet Aufbau, Tabellen und Zitate im Originalartikel.

Für uns spannend sind die Muster, die sich durchziehen – über alle Lebensgeschichten hinweg.


2. Drei Ergebnisse, die hängenbleiben

2.1 „Mein Hund ist mein Kind“ – und trotzdem nicht

Viele Frauen sprechen über ihren Hund wie über ein kleines Kind:

  • „Er ist mein Baby.“

  • „Mein kleiner Sohn.“

  • „Ohne ihn wäre ich verloren.“

Besonders Frauen ohne eigene Kinder beschreiben ihren Hund als:

  • emotionalen Halt, wenn der Kinderwunsch offen oder schmerzhaft ist,

  • „Probe-Elternschaft“ (kann ich Verantwortung tragen, wie ist mein Partner als Versorger?),

  • jemanden, für den sie da sein können, ohne gesellschaftlichen Druck, „rechtzeitig“ Kinder zu bekommen.

Frauen mit Kindern beschreiben ihre Hunde ebenfalls als Familienmitglieder – aber mit einem klaren Unterschied:

  • Die Verantwortung für ein Kind wird als schwerer, endgültiger, moralisch bindender erlebt.

  • Die Verantwortung für den Hund wird durchaus als ernst erlebt – aber zeitlich, organisatorisch und gesellschaftlich weniger weitreichend als die für ein Kind.

Im Extremfall – Haus brennt, man kann nur einen retten – ist in den Köpfen der meisten klar:

Das Kind zuerst.

Und trotzdem sagen viele:

„Emotional fühlt es sich oft fast gleich an.“

Genau diese Spannung macht die Studie so explosiv – und so realitätsnah.


2.2 Hund bringt Kontakte, Kind bringt Pflichten

Ein zweiter Punkt, der kaum diskutiert wird, aber in der Studie sehr deutlich wird:

  • Hunde bringen oft mehr soziale Kontakte ins Leben:

    • Gespräche beim Spaziergang,

    • Hundeschule, Hundegruppe,

    • Online-Communities.

  • Kinder bringen vor allem mehr Pflichten und weniger Spontanität:

    • feste Betreuungszeiten,

    • weniger Freizeit,

    • Müdigkeit, Organisation, Termindruck.

Viele Frauen beschreiben ihren Hund als:

  • Grund, überhaupt rauszugehen,

  • Einstieg in neue Freundschaften,

  • „sozialen Türöffner“, der sie zurück ins Leben bringt.

Kinder verändern Beziehungen und soziale Netzwerke ebenfalls, aber anders:
weniger zufällige Begegnungen, mehr Verpflichtungen.

Das erklärt, warum sich Hundehaltung für viele nach mehr Leben anfühlt – auch, wenn objektiv „nur ein Hund“ dazugekommen ist.


2.3 Hund als Verantwortung – aber in einem Rahmen, den viele alleine tragen können

Spannend ist, wie die Frauen über Verantwortung sprechen:

  • Ein Kind großziehen wird als „Lebensprojekt“ beschrieben – mit allem, was dazugehört: moralische Verantwortung, Lebensentscheidungen, finanzielle Last.

  • Ein Hund wird als ernsthafte, aber begrenzte Verantwortung erlebt:

    • zeitlich (10–15 Jahre statt lebenslang für ein anderes erwachsenes Menschenleben),

    • sozial (weniger gesellschaftliche Kontrolle, wenn „etwas schiefgeht“),

    • organisatorisch (Hund kann mal mit, mal zur Betreuung, mal alleine bleiben).

In anderen Arbeiten derselben Forschergruppe wird das auf den Punkt gebracht:
Hundehaltung ist für viele eine Möglichkeit, ihr Fürsorge- und Bindungsbedürfnis zu leben,
ohne alle Konsequenzen einer Elternschaft tragen zu müssen.

So wird verständlich, warum Hundehaltung heute so oft genau in den Lebensphasen eine große Rolle spielt, in denen viele Menschen über Familie, Kinder und langfristige Bindungen nachdenken.


3. Was sagt die Bindungsforschung dazu?

Wenn Menschen sagen „Mein Hund ist wie mein Kind“, ist das nicht nur eine Metapher.

Aus der Bindungsforschung wissen wir seit Jahren:

  • Hunde zeigen gegenüber ihren Bezugspersonen Verhaltensmuster, die den Bindungsmustern von Kindern ähnlich sind:

    • sie suchen Nähe bei Unsicherheit,

    • sie zeigen Trennungsstress,

    • sie nutzen den Menschen als „sichere Basis“, von der aus sie die Welt erkunden.

  • In experimentellen Situationen (angelehnt an die klassische „Fremde-Situation“-Test nach Ainsworth) konnten beim Hund–Mensch-Team Bindungstypen unterschieden werden, die an sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend erinnern.

Neuere Arbeiten gehen noch weiter und vergleichen die Beziehung zu Hunden mit verschiedenen menschlichen Beziehungen:

  • In einer großen Studie (717 Teilnehmende) gaben Menschen an, dass sie von ihren Hunden ähnlich viel Unterstützung erleben wie von ihren Kindern – bei gleichzeitig deutlich weniger Konflikten.

Die Forscher:innen sprechen davon, dass der Hund Elemente aus Eltern-Kind-Beziehung und bester Freundschaft vereint:
viel Nähe, viel Fürsorge, wenig Streit.

Vor diesem Hintergrund wirkt es fast logisch,
dass viele Menschen ihren Hund sprachlich in die Kinder-Rolle ziehen –
auch, wenn sie rational wissen, dass er kein Mensch ist.


4. Zwischen „Fellkind“, Sportgerät und Gruppenmitglied

Was ich an der aktuellen Studie interessant finde:
Sie spricht nicht nur über „Hundemamas“, die ihre Hunde als Kinder sehen,
sondern berührt indirekt auch die andere Seite:

  • Hund als Sportler, Leistungshund, „der arbeiten will“.

  • Hund als Begleiter im Hundesport, der „funktionieren“ soll.

Wenn man beides nebeneinanderlegt, entsteht ein Bild:

  • Für die einen ist der Hund „mein Kind“ – mit allem Emotionalen, was dazugehört.

  • Für andere ist er eher Teamkollege, Sportler, Leistungsträger – mit klarer Trennung zwischen Mensch und Tier.

Gemeinsam ist beiden Gruppen oft eins:

Die Rolle des Hundes ist stark vom Menschen definiert.

Je nachdem, wen du fragst, bekommt der Hund ganz unterschiedliche Rollen zugeschrieben:
– liebes Familienmitglied,
– Partner im Sport oder im Training,
– Begleiter im Alltag und im Beruf,
– emotionale Stütze in schwierigen Zeiten.

    Der Teil, der in Studien naturgemäß kürzer kommt, ist die Frage:

    Welche dieser Rollen sind für Hunde stimmig – und welche entstehen vor allem in unseren Köpfen?

    Für mich ist deshalb die spannendste Anschlussfrage:

    • Wie können wir die Erkenntnisse über Bindung und Fürsorge nutzen,
      ohne den Hund nur als Kind oder Spartensportler zu sehen?

    • Wie können wir ihn als vollwertiges Familienmitglied ernst nehmen – mit hündischen Bedürfnissen, eigenen Strategien und dem Recht, auch einmal „Nein“ zu sagen?


    5. Fragen, die sich als Hundebesitzer:in lohnen

    Statt Ratgeber-Tipps ein paar Fragen, die sich aus diesen Studien ergeben – und die deine Sicht auf deinen Hund schärfen können:

    5.1 Welche Rolle hat dein Hund in deinem Leben – und was bringst du mit?

    Dein Hund kann vieles gleichzeitig sein: Alltagsbegleiter, Sportpartner, emotionaler Halt, Familienmitglied.
    Die Forschung zeigt, dass solche Rollenwechsel normal sind – entscheidend ist, dass du dir dieser Rollen bewusst bist, damit dein Hund nicht durch widersprüchliche Erwartungen überfordert wird.

    Spannend wird es dort, wo deine eigene Geschichte sehr stark mitspielt:
    zum Beispiel ein unerfüllter Kinderwunsch, biografische Brüche oder hohe Ansprüche an „Leistung“ und „Funktionieren“.

    Genau hier setzen die Studien zur Hund–Mensch-Bindung und zur „Kind-Rolle“ von Hunden in westlichen Gesellschaften an:
    Unsere menschliche Biografie und unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen schieben Hunde oft in Rollen hinein, die für uns sinnvoll sind – aber nicht immer zu ihrer Art passen.

    Die Frage ist nicht: „Ist das erlaubt?“
    Sondern eher:

    Wo übersehe ich hündische Signale, weil ich so stark in meiner eigenen Geschichte drinstecke?

    5.2 Was heißt „Bindung“ für dich – und für deinen Hund?

    Aus Bindungssicht ist nicht entscheidend, ob du sagst „mein Hund ist mein Kind“,
    sondern:

    • Kann dein Hund sich bei dir sicher fühlen – auch wenn er nicht „funktioniert“?

    • Darf dein Hund zu dir kommen, wenn er Nähe möchte – und sich wieder zurückziehen, wenn er Ruhe braucht?

    • Kann er sich in deinem Alltag so bewegen, dass er als Hund ernst genommen wird – mit Schnüffeln, Pausen, Rückzug, hündischen Kontakten?

    Die Studienlage legt nahe:
    Hund–Mensch-Bindung kann ähnlich tief gehen wie Eltern–Kind-Bindung –
    aber sie ist nur dann wirklich tragfähig,
    wenn sie nicht nur auf Projektionen basiert,
    sondern auf gegenseitiger Lesbarkeit.


    6. Wenn du dich beim Lesen wiedererkannt hast

    Vielleicht hast du beim Lesen gemerkt, dass da einiges von dir drin steckt – die Rolle deines Hundes in deinem Leben, dein Alltag, deine Wünsche und Sorgen.
    Das ist kein Fehler, sondern ein Hinweis darauf, dass dieses Thema für dich wichtig ist.

    Es geht nicht darum, irgendetwas „falsch“ gemacht zu haben,
    sondern klarer zu unterscheiden zwischen dem, was du brauchst,
    und dem, was dein Hund als Hund braucht.

    Genau an dieser Schnittstelle wird Bindung spannend – und alltagstauglich.


    7. Warum diese Studie mehr ist als ein „Fun Fact“ fürs Teilen

    Die neuen Arbeiten zu Hund–Kind-Fürsorge, Bindung und Hund als Familienmitglied zeigen eines sehr deutlich:

    • Hunde rutschen in Rollen, die früher anderen Menschen vorbehalten waren.

    • Unsere Biologie unterstützt das – Kindchenschema, „Puppy Eyes“, Bindungssystem.

    • Und trotzdem bleiben Hunde eine eigene Art mit eigener Sozialstruktur, Kommunikation und eigenen Bedürfnissen.

    Für mich ist das keine Randnotiz, sondern eine Einladung:

    unsere Gefühle für unsere Hunde ernst zu nehmen,
    und gleichzeitig ihre Hundeperspektive nicht zu überfahren.

    Wenn du Menschen in deinem Umfeld hast,
    die ihren Hund „Fellkind“, „Baby“ oder „Sportskamerad“ nennen,
    dann ist dieser Artikel ein guter Aufhänger, um darüber ins Gespräch zu kommen:

    • Was bedeutet Bindung für uns?

    • Was bedeutet sie für unsere Hunde?

    • Und wie können wir beides so zusammenbringen,
      dass daraus ein gutes gemeinsames Leben wird?


    Zum Weiterdenken – und wenn du dranbleiben willst

    Wenn dich diese Art von Einordnung anspricht –
    also Studien, Hundeverhalten und Alltag so zusammenzubringen,
    dass daraus Verständnis statt nur Technik wird –
    dann trag dich gern in meinen Newsletter ein.

    Dort vertiefe ich genau solche Themen:

    • aktuelle Forschung zu Hund–Mensch-Beziehung,

    • hündische Kommunikation im Alltag,

    • und die Frage, wie aus „Mein Hund ist mein Kind“
      „Mein Hund ist mein soziales Gegenüber“ werden kann.

      Häufige Fragen

      Ersetzt mein Hund mein Kind?

      Die bisherigen Studien zeigen eher, dass Hunde eine zusätzliche Form von Bindung und Fürsorge ermöglichen, nicht einen eins-zu-eins Ersatz für Kinder. Viele Menschen erleben ihren Hund als kindähnliche Bezugsperson, ohne dass Kinder grundsätzlich ausgeschlossen wären. Hunde füllen vor allem emotionale und soziale Lücken im Alltag und werden als Familienmitglieder wahrgenommen – aber die Verantwortung für ein menschliches Kind bleibt eine andere Ebene.

      Ist die Bindung meines Hundes zu mir wirklich vergleichbar mit der eines Kindes zu seinen Eltern?

      Mehrere Untersuchungen mit angepassten Fremde-Situation-Tests zeigen, dass Hunde zu ihrer Bezugsperson ein Bindungsverhalten zeigen, das der Eltern-Kind-Bindung strukturell ähnelt: Nähe-Suche, Trennungsstress, sichere Basis und sicherer Hafen. Inhaltlich bleibt die Beziehung natürlich artspezifisch, aber die grundlegende Bindungsorganisation ist vergleichbar.

      Ist es schlimm, wenn ich meinen Hund wie ein Kind behandle?

      Problematisch wird es weniger durch die Bezeichnung, sondern dann, wenn die Hundeperspektive aus dem Blick gerät. Kritisch ist es, wenn hündische Bedürfnisse wie Rückzug, Schnüffeln, Sozialkontakte oder klare Grenzen dauerhaft hinter menschlichen Erwartungen zurückstehen. Die Forschung lädt eher dazu ein, starke Gefühle ernst zu nehmen und gleichzeitig bewusst darauf zu achten, dass der Hund als Hund ernst genommen wird – als soziales Gruppenmitglied mit eigenen Bedürfnissen.

      Literatur (Auswahl)

      Udvarhelyi-Tóth, K. M., Szalma, I., Pélyi, L., Udvari, O., Kispéter, E., & Kubinyi, E. (2025). „My Little Son, My Everything“: Comparative Caregiving and Emotional Bonds in Dog and Child Parenting. Animals, 15(23), 3358.

      Gillet, L., & Kubinyi, E. (2025). Redefining Parenting and Family – The Child-Like Role of Dogs in Western Societies. European Psychologist.

      Topál, J., Miklósi, Á., Csányi, V., & Dóka, A. (1998). Attachment behavior in dogs (Canis familiaris): A new application of Ainsworth’s (1969) Strange Situation Test. Journal of Comparative Psychology, 112(3), 219–229.

      Prato-Previde, E., Custance, D. M., Spiezio, C., & Sabatini, F. (2003). Is the dog–human relationship an attachment bond? An observational study using Ainsworth’s Strange Situation. Behaviour, 140(2), 225–254.

      Solomon, J., Beetz, A., Schöberl, I., Gee, N., & Kotrschal, K. (2019). Attachment security in companion dogs: Adaptation of Ainsworth’s classification and the Strange Situation Procedure to dogs and their human caregivers. Attachment & Human Development, 21(5), 389–417.

      Riggio, G., Mariti, C., Boncompagni, C., et al. (2021). Are dogs with a secure and an insecure-avoidant attachment different in their social behavior? Animals, 11(1), 14.

      Mariti, C., Ricci, E., Carlone, B., Moore, J. L., Sighieri, C., & Gazzano, A. (2013). Dog behavior in the Ainsworth Strange Situation Test: A pilot study. Dog Behavior, 1(2), 23–41.

      Savalli, C., & Mariti, C. (2020). Would the dog be a person’s child or best friend? Revisiting the dog–tutor attachment. Frontiers in Psychology, 11, 576713.

      Doris von Tierperspektive – Kommunikation statt Konditionierung
      Doris von Tierperspektive

      Als Biologin (MSc) mit Schwerpunkt Human–Animal Interactions begleite ich Mensch und Hund dabei, sich wirklich zu verstehen – ohne Dressur, ohne Druck, ohne Leckerli-Tricks. Kommunikation statt Konditionierung.

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