Rasse-Schublade Hund – Warum Etiketten oft mehr über Menschen verraten als über Hunde

by | Aug. 28, 2018 | Hunde | 0 comments

Er ist groß, muskulös, trägt einen breiten Kopf.
Drei Sekunden später kommt der Kommentar:
„Oh, ein Kampfhund?“

Ein ganz normaler Spaziergang – und schon ist das Urteil gesprochen.

Das Problem: Nur etwa jeder zehnte Tierheimhund hat tatsächlich die Rasse, die ihm zugeschrieben wird.
Das zeigen genetische Analysen von über 900 Hunden (Gunter et al., 2018).
Trotzdem entscheiden solche Etiketten darüber, wie Menschen reagieren, wie lange Hunde im Tierheim warten –
und manchmal sogar, ob sie je adoptiert werden.


1️⃣ Warum wir so gerne in Rassen denken

Rassenbezeichnungen geben uns Orientierung – und ein Gefühl von Kontrolle.
Doch sie schaffen auch Schubladen:
freundlich, gefährlich, kinderlieb, schwierig.

Ein breiter Schädel wirkt bedrohlich, Schlappohren wirken harmlos.
Unsere Wahrnehmung folgt Bildern im Kopf, nicht Verhalten im Moment.

➡️ Das Etikett „Rasse“ ist also oft ein Filter, durch den wir Hunde sehen –
kein Spiegel dessen, wie sie wirklich sind.


2️⃣ Was Genetik (nicht) erklärt

Eine groß angelegte Studie (Gunter et al., 2022) mit über 18 000 Hunden zeigt:
Der Rasseanteil erklärt weniger als 10 % der Verhaltensunterschiede.

Ein Retriever-Mix kann skeptisch sein,
ein Staff-Mix sanft und höflich.
Die restlichen 90 % entstehen aus Erfahrung, Beziehung, Haltung, Tagesform.

Die Wissenschaft sagt also klar:
Rasse beeinflusst Körperbau – nicht Charakter.


3️⃣ Wenn Etiketten Leben beeinflussen

In Tierheimen zeigt sich das deutlich:
Hunde, die als „Pitbull-artig“ bezeichnet werden, warten im Schnitt dreimal länger auf ein Zuhause (Patronek et al., 2019).
Einige Tierheime haben deshalb aufgehört, Rassen öffentlich zu nennen –
und siehe da: Die Vermittlungen stiegen deutlich.

Doch im deutschsprachigen Raum kommen noch die gesetzlichen Rassenlisten hinzu.
Sie unterscheiden sich je nach Bundesland oder Kanton –
und können Auflagen wie Maulkorb oder Wesenstest bedeuten.

➡️ Wichtig ist also:
Rechtlich musst du wissen, welche Rassen gelistet sind.
Aber das Verhalten deines Hundes lernst du nur, wenn du ihn kennenlernst.

Denn kein Gesetzestext kann erkennen,
ob ein Hund freundlich, unsicher oder überfordert ist.


4️⃣ Wie du Vorurteile auflöst – im Alltag und im Kopf

Viele Halter*innen kennen das:
„Der schaut aber gefährlich aus“ –
und plötzlich geht jemand auf die andere Straßenseite.

💡 So kannst du ruhig gegensteuern:
– Bleib gelassen. Reaktionen anderer sagen nichts über deinen Hund.
– Wenn du magst, sag kurz: „Er ist freundlich – aber lieber mit Abstand.“
– Je sicherer du selbst bist, desto neutraler wird dein Hund wahrgenommen.
– Und: Erklären musst du dich nicht. Verständnis wächst durch Begegnung, nicht durch Rechtfertigung.


5️⃣ Fazit – Dein Hund ist kein Etikett, sondern ein Gegenüber

Rasseschubladen vereinfachen – aber sie blenden aus,
dass Verhalten lebendig, lernend und kontextabhängig ist.

Wenn du lernen möchtest, deinen Hund jenseits von Kategorien zu verstehen,
unterstütze ich dich gerne:
Nicht als Trainerin, die Verhalten abtrainiert –
sondern als Mensch-Hund-Coach, der Kommunikation möglich macht.

🐕 Mehr über mein sozio-kognitives Hund-Mensch-Training erfahren → LOS


📚 Literatur

  • Gunter, L.M. et al. (2018): A canine identity crisis: Genetic breed heritage testing of shelter dogs. PLoS ONE, 13 (8).

  • Gunter, L.M., Feuerbacher, E.N., Wynne, C.D.L. (2022): Breed differences in dog behavior are shaped by individual experience. Science, 376 (6594).

  • Patronek, G.J., Bradley, J., Arluke, A. (2019): What is the evidence for reliability and validity of behavior evaluations for shelter dogs? J. Vet. Behav., 31.

Doris von Tierperspektive – Kommunikation statt Konditionierung
Doris von Tierperspektive

Als Biologin (MSc) mit Schwerpunkt Human–Animal Interactions begleite ich Mensch und Hund dabei, sich wirklich zu verstehen – ohne Dressur, ohne Druck, ohne Leckerli-Tricks. Kommunikation statt Konditionierung.

Mehr über meinen Ansatz · Newsletter mit Praxis & Studien

Instagram · Facebook

Newsletter

Bleib dran 🐾

Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, wirst du meinen Newsletter lieben.
Darin bekommst du regelmäßig Impulse für den Alltag mit Hund – wissenschaftlich fundiert, aber leicht verständlich.

🎁 Als Dankeschön erhältst du sofort mein exklusives Freebie:
👉 Warum Methoden nicht reichen – Kommunikation mit deinem Hund neu denken“