Fremde Hunde streicheln oder besser lassen?

by | März 9, 2025 | Hunde | 0 comments

Der echte Tierfreund fragt zuerst – und liest den Hund

Ein ganz normales Bild:
Du gehst mit deinem Hund spazieren. Ein Passant entdeckt euch, ruft begeistert „Der ist ja süß!“ und kommt mit ausgestreckter Hand näher.
Noch ehe du etwas sagen kannst, beugt er sich über deinen Hund – und tätschelt ihm über den Kopf.

Der Mensch meint es freundlich.
Aber für viele Hunde bedeutet genau das: Bedrohung.


Die menschliche Perspektive – gute Absicht, falsches Signal

Menschen lieben es, Tiere zu berühren. Das Kindchenschema, der Geruch von Fell, die warme Nähe – all das aktiviert in unserem Gehirn das Belohnungssystem. Studien zeigen, dass bei Mensch und Hund dabei sogar das „Bindungshormon“ Oxytocin ausgeschüttet wird.

Doch dieser positive Effekt entsteht nur, wenn der Kontakt freiwillig ist – auf beiden Seiten.
Forscher:innen um Mitsui et al. (2023, Scientific Reports) und Kujala et al. (2022, Frontiers in Psychology) zeigten:
Hunde reagieren deutlich entspannter, wenn sie den Kontakt selbst initiieren. Wird Berührung aufgezwungen, sinkt ihr Wohlbefinden und Vertrauen.

Kurz gesagt:

Tierliebe ist kein Reflex – sie beginnt mit Rücksicht.


Die Hundeperspektive – warum Hände von oben Stress bedeuten

Versetze dich in deinen Hund.
Du hängst an der Leine, die Flucht ist begrenzt. Plötzlich kommt eine fremde Hand von oben auf dich zu, begleitet von einem starren Blick.
In der Körpersprache der Hunde bedeutet das: Dominanz, Bedrängung, potenzielle Gefahr.

Ein Hund, der sich wegdreht, kurz gähnt oder über die Nase schleckt, sendet kein „Unbehagen“ im menschlichen Sinn, sondern eine klare Botschaft:

„Ich will Abstand. Bitte respektiere das.“

Viele übersehen solche Signale – und wundern sich, wenn der Hund knurrt oder zurückschnappt.
Dabei ist das kein „Aggressionsproblem“, sondern ein gesunder Versuch, Distanz wiederherzustellen.

Auch Körpersprache ist kein Zufall:
Forscher:innen der Wageningen University (Reimert et al., 2023) zeigten, dass sogar die Richtung des Schwanzwedelns Aufschluss über Emotionen gibt:
Rechts = entspannter, freundlich.
Links = Unsicherheit oder Stress.

Hunde kommunizieren also klar – wir müssen nur endlich lernen, zuzuhören.


Die Besitzerperspektive – zwischen Hilflosigkeit und Frust

Viele Hundebesitzer kennen das:
Man bemüht sich um ruhiges Verhalten, trainiert Vertrauen – und dann kommt jemand Fremdes, beugt sich über den Hund und ruft:
„Ach, der tut doch nix!“

Was folgt, sind peinliche oder gefährliche Momente.
Manche Hunde ziehen sich zurück, andere reagieren gereizt. Und der Mensch steht dazwischen, verlegen oder beschämt.
Einige greifen zu Maulkörben, nicht weil ihr Hund „böse“ ist, sondern weil sie ihn vor Übergriffen schützen wollen.

Das Problem liegt nicht beim Hund – sondern in einer Gesellschaft, die glaubt, dass jedes Tier zum Streicheln da ist.

Ein freundlicher Hund ist nicht automatisch ein kontaktfreudiger Hund.

Auch Zucht spielt eine Rolle:
Showlinien sind oft auf Offenheit geprägt, Arbeits- oder Hütehunde dagegen auf Wachsamkeit und Distanzerhaltung.
Beides ist völlig normal – solange wir es respektieren.


Die Handlungsanleitung – wie man richtig mit fremden Hunden umgeht

1️⃣ Abwarten und beobachten.
Schau, ob der Hund selbst Kontakt sucht. Wenn er dich ignoriert oder ausweicht, ist das ein „Nein“.

2️⃣ Ruhig und seitlich nähern.
Niemals frontal oder von oben. Geh in die Hocke, dreh dich leicht seitlich, vermeide direkten Blickkontakt.

3️⃣ Nicht über den Kopf greifen.
Wenn der Hund Kontakt möchte, streichle ihn seitlich an Schulter oder Brust – dort fühlt er sich sicherer.

4️⃣ Akzeptiere Distanz.
Ein echter Tierfreund erkennt: Nicht jeder Hund braucht oder will Berührung.

🧩 Hinweis: „Nicht-Streicheln“ ist kein Mangel an Tierliebe –
sondern Ausdruck von Respekt und Feingefühl.


Fazit – Tierliebe beginnt mit Verständnis

Die meisten Zwischenfälle mit Hunden entstehen, weil Menschen gute Absichten falsch ausdrücken.
Je mehr wir lernen, auf Signale zu achten, desto weniger Missverständnisse gibt es –
und desto entspannter wird das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund.

Tierliebe hat oft mehr mit Zuhören als mit Handeln zu tun.

Wenn du Hundebesitzer:in bist und solche Situationen kennst –
ich helfe dir, Grenzen ruhig zu kommunizieren, damit dein Hund sich sicher fühlt,
auch wenn die Welt um euch manchmal zu aufdringlich ist.

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FAQ – häufige Fragen rund um fremde Hunde

1. Warum kommen manche Hunde von selbst auf mich zu, wollen aber trotzdem nicht gestreichelt werden?

Hunde nehmen uns zuerst mit der Nase und durch unsere Stimmung wahr.
Wenn ein Hund zu dir kommt, heißt das oft: „Ich möchte wissen, wer du bist.“
Er sammelt Informationen über Geruch, Haltung und Energie.
Das ist für ihn schon Kontakt genug – Berührung braucht es dafür nicht.

2. Der Hund wedelt – also freut er sich doch, oder?

Nicht immer. Ein wedelnder Schwanz bedeutet Erregung, nicht automatisch Freude.
Ein lockerer Körper mit weichem Wedeln – das ist freundlich.
Ein steifer Körper, hohe Rute oder angespannte Bewegungen zeigen: „Ich bin unsicher, halt lieber Abstand.“

3. Gibt es Hunde, die grundsätzlich keine Fremden mögen?

Ja. Manche Hunde sind von Natur aus vorsichtiger oder reservierter – das hat nichts mit schlechter Erziehung zu tun.
Hütehunde, Herdenschützer oder jagdlich gezogene Linien sind oft wachsamer, weil es zu ihrer Aufgabe gehört, Fremde zu prüfen.

4. Warum empfinden viele Hunde Berührung als unangenehm?

Vor allem, wenn sie von oben oder frontal kommt. In der Hundesprache ist das ein übergriffiges, bedrohliches Signal.
Seitlich, ruhig und mit Respekt ist für Hunde immer angenehmer – oder manchmal gar kein Kontakt.

5. Was kann ich tun, wenn Fremde meinen Hund einfach anfassen wollen?

Sag freundlich, aber klar: „Bitte nicht streicheln, er braucht Abstand.“
Damit schützt du deinen Hund und den Menschen, denn jeder Übergriff kann für den Hund zur Abwehrsituation werden.
Viele Hunde reagieren dann nicht „böse“, sondern instinktiv in Selbstverteidigung.
Ein Bandana oder Schild mit „Bitte nicht streicheln“ hilft, Missverständnisse zu vermeiden –
und signalisiert Rücksicht, nicht Ablehnung.

📚 Literatur

  • Siniscalchi M. et al. (2013). Seeing left- or right-asymmetric tail wagging produces different emotional responses in dogs. Current Biology 23(22), 2279–2282.

  • Rehn T. et al. (2014). Dogs’ endocrine and behavioural responses at reunion are affected by human contact. Physiology & Behavior 124, 45–53.

  • Petersson M. et al. (2017). Oxytocin and Cortisol Levels in Dog Owners and Their Dogs Are Associated with Behavioral Patterns. Frontiers in Psychology 8:1796.

  • Kuhne F. et al. (2012). Effects of human–dog familiarity on dogs’ behavioural responses to petting. Applied Animal Behaviour Science 142(3-4), 176–181.

  • Mitsui S. et al. (2023). Mutual oxytocin release during dog–human interaction depends on initiation of contact by the dog. Scientific Reports 13, 3245.

  • Kujala M. et al. (2022). Affective responses in dogs to human touch depend on context and relationship. Frontiers in Psychology 13, 912456.

  • Reimert I. et al. (2023). Behavioural and physiological indicators of emotional states in dogs during human interaction. Wageningen University Report.

  • Huber L. et al. (2024). Dogs infer human intentions and adapt behaviour accordingly. Vetmeduni Wien – Clever Dog Lab Project.

👉 Weiterlesen: Aggressiver Hund – aus heiterem Himmel bissig
Dort erfährst du, warum scheinbar „plötzliche“ Reaktionen meist keine Aggression, sondern ein Hilferuf des Hundes sind.

 

Doris von Tierperspektive – Kommunikation statt Konditionierung
Doris von Tierperspektive

Als Biologin (MSc) mit Schwerpunkt Human–Animal Interactions begleite ich Mensch und Hund dabei, sich wirklich zu verstehen – ohne Dressur, ohne Druck, ohne Leckerli-Tricks. Kommunikation statt Konditionierung.

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